LEMME
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16.09

11.11.23

Martina-Sofie

Wildberger

P-Pants

in Action

Martina-Sofie Wildberger, P-Pants in Action, 2023. Fotos: Romain Iannone

Eine blonde Frau, die am Boden kauert, sich verrenkt, ein geöffneter Reisverschluss im Schritt ihrer schwarzen Hose, eine pinke Unterhose, manchmal etwas zur Seite gezogen, ein Klettergurt mit Karabiner und Abseilgerät, Expressschlingen und Bandschlinge, eine Eisschraube, massive, nigelnagelneue Bergschuhe. Dies zeigen acht Fotografien im Weltformat, die den Betonkubus Lemme in einen Träger für Billboards verwandeln. Über die Fotografien läuft in fetter, gelber Typografie der Schriftzug: P-PANTS, unten ist ein Logo abgedruckt: FAC – Feminist Alpine Club.

Die Künstlerin Martina-Sofie Wildberger zeigt in Lemme ihre Installation P-Pants in Action, die sich innerhalb des Projekts Feminist Alpine Club (FAC) verortet. Seit 2017 geht Wildberger regelmässig auf Hochtouren. Dabei fällt ihr auf, dass die Anzahl der Frauen am Berg mit steigender Höhe stetig abnimmt. Seitdem postet sie Fotos von ihren hochalpinen Gipfelbesteigungen mit Pickel, Seil und Steigeisen mit den Hashtags #feministalpineclub und #fac auf Instagram. Die Künstlerin versteht Bergsteigen als (Selbst-)Ermächtigung und das Hochgebirge als einen Raum, in dem Genderkonventionen überwunden werden können. Der Feminist Alpine Club ist einerseits ein Tool, um diese Anliegen künstlerisch zu erforschen und im Kunstkontext aufs Tapet zu bringen, andererseits werden durch ihn künstlerische, aktivistische Aktionen in den Bereich des Alpinismus getragen. Der Feminismus ist Schlüsselwort und Marker dieses «Clubs» und scheint auf die Perspektive des Geschlechts zu fokussieren, das Schlagwort steht hier jedoch – ganz im Sinne der dritten Welle des Feminismus – für die Forderung, den Alpinismus in jeder Hinsicht inklusiver zu machen. Denn der Alpinismus pflegt eine Praxis des Ausschlusses, die nicht nur Frauen betrifft; auch ethnische Zugehörigkeit, kultureller Hintergrund, Klasse, Wohnort, körperliche Fitness und psychische Verfassung können Gründe sein, warum viele nicht einmal auf den Gedanken kommen, einen Platz in einer Seilschaft einzunehmen. Im Feminist Alpine Club geht es gemäss Martina-Sofie Wildberger auch darum, den Berg kollektiv zu erleben, die ständig wechselnden Perspektiven auf die Welt einzunehmen, die sich beim Hochsteigen auf die Berge öffnen, durch Erfahrung eine neue Haltung zu entwickeln. Der FAC setzt sich für mehr Offenheit am Berg ein.

Wildberger versteht den FAC als Werkzeug und Gefäss, das mit verschiedenen Aktionen gefüllt werden kann. Manche entspringen kollektiven Ideen, andere tragen Wildbergers alleinige künstlerische Handschrift, wie die Ausstellung in Lemme. Wer schon mal in einer Gruppe unterwegs war, kennt vielleicht das Gefühl, dass man die anderen nicht aufhalten möchte, das Tempo nicht bremsen, den gleichmässigen Schritt nicht unterbrechen. Es kann unangenehm sein, sich mit dem Anliegen einer WC-Pause zu melden. Überhaupt ist die Kommunikation ein Thema, das Wildberger am Alpinismus interessiert. Denn am Berg ist es nicht primär die Sprache, die Vertrauen schafft, sondern die Aufmerksamkeit für die Anderen. Dieses Interesse für Kommunikation und wie sie sich manifestiert – nonverbal, über Gesten, Mimik, das Seil, das einen verbindet – schlagen denn auch einen Bogen zu Wildbergers künstlerischer Praxis insgesamt: Im Zentrum ihrer Arbeiten stehen die Stimme, der Körper, Klang, Bedeutung und Wirkmacht von Sprache, alternative Kommunikationswege. Man darf gespannt sein, wie Wildberger dieses Feld der alpinistischen Kommunikation in den kommenden Jahren weiter ausloten wird.  

Wer mal muss, muss den Mut haben, dieses Anliegen zu kommunizieren – doch dann beginnt das Problem in einer Seilschaft erst: Wie kann ein Mensch mit Vagina, einen Klettergurt tragend, sicher urinieren? Bisher ist die einzige Möglichkeit, sich auszubinden, den Klettergurt auszuziehen und die Hosen über die Knie herunterzulassen. Auf einem Gletscher, in einer ausgesetzten Kletterei oder einem steilen Hang kann dies lebensgefährlich sein. Wildberger hat deshalb einen Sporthosenprototyp entwickelt, mit dem dies nicht mehr nötig ist. Dank eines durchgehenden Reissverschlusses im Schritt ist die WC-Pause schnell und sicher erledigt.

Der Prototyp der P-Pants ist zwar noch nicht in Massenproduktion gegangen, aber die Werbung dafür steht schon bereit und wird hier in, beziehungsweise an Lemme, gezeigt. Für die Foto-Serie P-PANTS (Ad) (2023) posiert – oder vielmehr: performt – Martina-Sofie Wildberger im Fotostudio und zeigt die P-Pants in Aktion. Irgendwo zwischen Bedienungsanleitung, Pin-up, Produktbild, Barbie-Kitsch, Bergsteigerinnen-Professionalismus, Fetisch und Performance-Dokumentation angesiedelt, bewegt die Künstlerin sich spielend und spielerisch auf einem schmalen Grat zwischen Tabu und Hyper-Sichtbarkeit. Die Bilder leben von der Spannung, die eine intime Geste erzeugt, wenn sie so riesengross in die Öffentlichkeit getragen wird. Die pinke Unterhose ist natürlich bewusst gewählt, wissen wir doch nicht erst seit dem Barbie-Hype von den vielschichtigen Verschränkungen dieser Farbe mit dem Frausein – und der Möglichkeit, sich die Farbe aus feministischer Perspektive anzueignen. Interessant ist auch, wie der Fetisch der bergtechnischen Ausrüstung – vom Klettergurt, über die bondageartigen Aspekte der Schlingen und sogar Schuhbändel, die phallische Eisschraube – durch ihre farbige Präsenz auf der schwarzen Kleidung inszeniert wird. Dies könnte man als Verweis darauf interpretieren, dass Bergsteigen nach wie vor ein Sport ist, den sich in erster Linie Menschen (vor allem weisse Männer) mit grossem Geldbeutel (und guter Ausbildung) leisten können. 

Fotografie: Peter Baracchi
Grafik: Bonsma & Reist

Text: Josiane Imhasly